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Im Interview - Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, Österreichisches Institut für Familienforschung an der Universität Wien

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal

Wie können Aktivitäten zur Familienfreundlichkeit Unternehmen dabei unterstützen, der Knappheit an Fachkräften zu begegnen?

Familienfreundlichkeit ist bei Arbeitskräftemangel ein eindeutiges Asset im Recruiting: In Deutschland wurde bei Unternehmen mit der auch in Österreich üblichen Zertifizierung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Studie durchgeführt. Sie hat beispielsweise gezeigt, dass als familienfreundlich zertifizierte Unternehmen um bis zu 26 % mehr Bewerbungen um offene Stellen, eine um 18 % höhere Humankapitalakkumulation und eine um 17 % höhere Mitarbeiterbindung haben als andere vergleichbare Betriebe. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Wer solche betriebswirtschaftlichen Vorteile ungenutzt lässt, handelt eigentlich gegen die kaufmännische Sorgfalt!

 

Wie sehr fördert eine Flexibilisierung der Arbeitszeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Ist die Flexibilisierung des Arbeitsortes (Home Office) ebenso hilfreich?

Aus zahlreichen Untersuchungen und vielfältiger Erfahrung wissen wir, dass der Netto-Zeitaufwand für die Erwerbstätigkeit das Familienleben massiv beeinflusst. Umgekehrt lässt sich leicht schließen: Wer keine Pendelzeiten hat, könnte dem Arbeitgeber länger in Form von Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Hier bedarf es unternehmensbezogen eine maßgeschneiderte Befassung mit Flexibilitätspotenzialen. 


Die jüngere Generation stellt andere Anforderungen an die Work-Life-Balance. Wie können bzw. sollen Unternehmen damit umgehen?

Wenn jüngere Menschen bereit sind, 30 – 35 Stunden pro Woche einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist das im Grunde genommen ein vernünftiges Vollzeitangebot, während ein Arbeitspensum von 50 und mehr Stunden, das Firmen erwarten, ein unvernünftiges Vollzeitmodell ist. Ich sehe, dass jüngere Menschen ihre Sozialbeziehungen pflegen wollen – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie an der Vorgeneration gesehen haben, welche sozialen und familialen Probleme daraus entstehen, wenn man zu wenig Zeit zur Pflege persönlicher Beziehungen hat. Man kann in diesem Verhalten nicht mangelnde Leistungsbereitschaft, sondern erhöhte Sozialkompetenz sehen.

 

Ihr Vortrag bei der Zertifikatsverleihung im September 2022 verdeutlichte, dass Väter gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen würden. Wie könnte das unterstützt werden?

Ich meine, dass hier in erster Linie Unternehmen gefordert sind, die über die Arbeitsgestaltung mehr Familienzeit ermöglichen müssten. Es ist aber eine funktionale Differenzierung notwendig: Vorgesetzte, Kollegen und Kolleginnen aber auch Kunden können den Zeitdruck, der auf den Einzelnen lastet, reduzieren. Auch hier gibt es kein Patentrezept: bei vielen Tätigkeiten wäre es aber schon ausreichend, wenn das Arbeitszeitrecht eingehalten wird. In manchen Fällen kann auch eine Erhöhung der Arbeitseffizienz durch qualifizierte Teilzeitbeschäftigung zu Lösungen führen. 

 

Das Durchschnittsalter der Mütter bei der ersten Geburt und damit ebenso bei den folgenden steigt weiter. Verändert dies auch ihre berufliche Re-Integration?

Selbst wenn man nicht zuletzt auch aus medizinischen Gründen meint, hier gegensteuern zu müssen, wird diese langjährige Tendenz kaum gestoppt werden können. Firmen könnten darin ein Asset sehen, weil Menschen – Mütter und Väter – die beruflich bereits gesettelt sind, keine hohe Fluktuationsrate aufweisen, wenn das Thema der Vereinbarkeit zufriedenstellend gelöst ist. Auch hier gilt es, sich aus eingefahrenen Verhaltensmustern zu lösen und die Dinge neu zu denken! 

 

Welche Maßnahmen unterstützen dabei, dass ältere Menschen länger im Arbeitsprozess verbleiben können?

Der Erhalt der Arbeitskraft hängt mit dem vorhin im Kontext der Work-Life–Balance angesprochenen Verhältnis von Erwerbsarbeit zum Leben zusammen. Wenn wir im Bild der Waage (Balance) die Arbeit auf die eine Seite und das Leben auf die zweite Waagschale legen, bezeichnen wir Arbeit eigentlich als Gegenort des Lebens. Bei dieser Sicht verwundert nicht, wenn die Menschen so früh wie möglich in Pension gehen wollen, damit sie noch etwas vom Leben haben. Wenn es uns aber gelingt, Arbeit als Teil des Lebens zu begreifen und auf die zweite Seite der Waage Freizeit und Familienzeit zu legen, bin ich davon überzeugt, dass die Menschen sowohl gesundheitlich länger in der Lage sind, im Erwerbsprozess zu bleiben, als auch die Freude an der Erwerbsarbeit länger behalten, als dies heute der Fall ist.

Weiterführende Links / Beiträge

Sie wollen mehr über dieses Thema erfahren? Hier finden Sie weiterführende Informationen und einschlägige Links.

Partnertag „Neue Perspektiven der Vereinbarkeit im hybriden Arbeitsalltag“

Am 18. Mai 2021 lud das Netzwerk „Unternehmen für Familien“ seine Partner und familienfreundliche Unternehmen zum Partnertag rund um das Thema „Neue Perspektiven der Vereinbarkeit im hybriden Arbeitsalltag“ ein. In einer spannenden Paneldiskussion tauschten sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam mit Sektionschefin für Familie und Jugend im Bundeskanzleramt Bernadett Humer, Msc. aus.

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